Vaalimaa, 18.08.2011, 28‘350 km
Hej!
Wie doch die Zeit vergeht: Kaum waren wir wieder in Russland sind wir auch schon wieder draussen! Die weiten Weiten Sibiriens, den Ural und St. Petersburg hinter uns, melden wir uns aus finnischem Gebiet. Doch dazu später mehr, denn vorerst geht es noch um Russland:
Nachdem der erste Versuch über die Russische Grenze zu kommen, bekanntlich scheiterte, war der zweite auf Anhieb erfolgreich und wir rollten bald durch das russische Altaigebirge. Zwei wesentliche Unterschiede zum mongolischen: Die Hauptstrassen sind geteert und es gibt Wälder, leider aber auch dicke Regenwolken. Es schien uns fast ein bisschen wie in den Alpen. Noch völlig im mongolischen Trott suchten wir uns gegen Abend einen von der Strasse abzweigenden Track um ein Pfusplätzchen zu finden, doch das wäre uns beinahe zum Verhängnis geworden. Vom vielen Regen war der Boden extrem glitschig und wir schlitterten mehr quer als sonst wie den Weg entlang, notabene an einem Abhang. Der Puls war denn auch ein bisschen höher als normal bis der Pfusbus gewendet und wieder auf sicherem Boden war. Gebrannt von diesem Erlebnis zogen wir es vor, im Wäldchen hinter einem kleinen Strassenimbiss zu campen, sicher ist sicher.
Wunderbares Frühstücksplätzchen im russischen Altai.
Bitte Didier, bitte, bitte…
Tags darauf fuhren wir im altbekannten Barnaul ein und wurden im selben Hotel wie vor drei Monaten vom Nachtwächter herzlich empfangen. Diesmal richtete sich unser Zimmer zwar gegen die Hauptstrasse, aber wir hatten welch Wunder WLAN! So verbrachten wir Stunden damit, Verschiffung, Flüge, Unterkünfte etc. zu organisieren. Für Sightseeing blieb gar keine Zeit. Wie praktisch, dass wir uns in der Stadt schon ein bisschen einheimisch fühlten, wussten wir doch wo welche Restaurants und Einkaufsläden sind. Ein bisschen perplex waren wir einzig, als man uns an der Kasse die Vodkaflasche wieder wegnahm, und das in Russland! Dass man uns seit 6 Monaten stets viel jünger schätzt, als wir sind, schmeichelt ja sehr, aber gleich so jung? Doch es ging anscheinend um etwas anderes: Vor 9 Uhr in der Früh darf hier schlicht niemand mit Alkohol aus einem Laden. Ob das den Alkoholmissbrauch vermindern mag, stellen wir in Frage, aber immerhin scheint man das Problem erkannt zu haben.
Am letzten Abend, wir verliessen gerade unser Stammlokal – eine Sushibar wo es auch Fischloses gibt – fuhr doch tatsächlich ein gelbes Postauto an uns vorbei! Von der PTT vor vielen Jahren ausgestaubt, dient es in Barnaul als Linienbus. Wir fühlten uns sofort noch ein bisschen heimischer.
Was unsere Route anbelangt entschlossen wir uns, Barnaul – St. Petersburg sozusagen nonstop unter die Räder zu nehmen, eventuell mit einem kurzen Abstecher nach Moskau. Nachdem uns der Nachtwächter eingeladen hatte, doch bitte im 2012 wiederzukommen, starteten wir das grosse Kilometerfressen: 4‘500 km lagen vor uns. Obwohl die Strassen in Sibirien nur zweispurig sind kamen wir überraschen gut vorwärts. Die vielen LKWs waren auf den schnurgeraden Trasses gut zu überholen und die meisten Dörfer wurden umfahren. Abends versteckten wir den Pfusbus zwischen den Birken und uns selber im Pfusbus drin. Anders ging es nicht, die Mücken hätten uns ohne zu zögern bei lebendigem Leib gefressen!
Die 1. Strophe haben wir noch auswendig gewusst, wir staunten selber!
Gut getarnt ist halb versteckt.
Im Ural änderte die Umgebung. Erstens gab es nebst Birken auch Tannen, zweitens wurde es hügelig und drittens nahm die Strassenqualität drastisch ab und viertens dafür der Verkehr zu. Barbaras Gottemeitschi hätte an den unzähligen Waschtlagen (Lastwagen) ihre helle Freude gehabt, bei uns hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Wir änderten unsere Übernachtungstaktik und stellten den Pfusbus fortan für zwei, drei Franken auf einem bewachten Truckstop ab. Die Romantik des wilden Campens war so zwar weg, dafür tauchten wir in die erstaunlich spannende Welt des Truckerlebens ein. Es war faszinierend, diesen Ungetümen von LKWs beim Manövrieren zuzuschauen und ein Abendessen in einem sogenannten Cafe mit schwarzpinktürkisleuchtgelber Tapete und silbernen Stangen (für die Mädels, ihr wisst schon) war ein Erlebnis für sich. Auch wie das mit den Dirnen funktioniert, haben wir schnell rausbekommen, praktisch so getönte Pfusbusscheiben. Die Damen in fortgeschrittenerem Alter, die solche Truckstops führen, waren übrigens alle total nett und immer für einen Schwatz zu haben und die Nachtwächter wiesen uns stets einen Parkplatz ganz nah an ihrem Wachturm zu.
Der Pfusbus war immer der kleinste, blieb für uns aber der grösste.
Idylle beim Brunchen.
Ziemlich beeindruckend diese Felder.
Wieder auf europäischem Boden, dominierten riesige Weizen- und Sonnenblumenfelder die Landschaft und die Strasse führte mit immer mehr Verkehr immer öfter mitten durch Dörfer und Städte, was das Fahren anstrengend machte. 100 Kilometer vor Moskau entschieden wir uns, die Megacity grossräumig zu umfahren und steuerten direkt St. Petersburg an. Nach paar Stunden im Stau und ohne auch nur einen Truckstop gesichtet zu haben, fragten wir bei einem Motel an, ob wir auf dem Parkplatz übernachten dürfen. Kein Problem, kostet aber 20 Euro. Willkommen in St. Petersburg! Beim gegenüberliegenden Motel ein paar Meter weiter von der Hauptstrasse entfernt, liess man uns ohne zu zögern gratis übernachten, ein guter Ort um die vorher gesparten 20 Euro in der dazugehörigen Bar loszuwerden.
Als wir aufwachten, klopften Regentropfen aufs Pfusbusdach, und was nach einem trüben Tag aussah, dauerte schliesslich eine ganze Woche. Dank GPS-Koordinaten steuerten wir direkt auf einen Campingplatz in einem Vorort von St. Petersburg zu. Dort angekommen, war aber weit und breit kein Zelt oder Wohnmobil zu sehen, sondern nur hohe Mauern und verschlossene Tore von einem Industriegebiet. Hätten wir in den letzten paar Monaten nicht schon ein bisschen Erfahrung in der Schlafplatzsuche gesammelt, wären wir wohl wieder umgekehrt. So aber klingelten wir schliesslich bei einer unbeschrifteten Klingel eine Frau raus, die uns versicherte, dass wir hier richtig sind, sonst aber nicht weiterhelfen konnte. Nach zwanzig Minuten tauchte schliesslich ihr Mann auf und mit ihm ein deutschsprechender Ukrainer, der als Guide für einen deutschen Wohnmobilferien-Anbieter arbeitet. Diese Firma war den auch Initiantin des Campingplatzes, wo sonst in St. Petersburg können vierzig Wohnmobile gleichzeitig geparkt werden? Auf der mit Rasen überzogenen einen Hälfte des Industrieareals durften wir den Pfusbus parkieren, auf der anderen Hälfte wurden fleissig Busse und LKWs repariert. Im Bürogebäude, wo Frau und Tochter eine Internetfirma für Herrenunterwäsche (!) führten, gab es eine Küche, WC, Dusche und Waschmaschine zum Mitbenutzen und wir konnten vom Pfusbus aus ins Internet, wie praktisch. Da die Camper aus Deutschland erst in zwei Tagen erwartet wurden und sich sonst keine Individualtouristen dorthin verirrt haben, hatten wir die ganze Anlage für uns alleine. Der Besitzer höchstpersönlich führte uns zum nächstgelegenen Supermarkt und seine Tochter organisierte online zwei Eintrittskarten für Schwanensee (jaja, so was gehört bei einem Besuch in St. Petersburg einfach dazu!). Am nächsten Morgen fuhren uns Vater und Tochter gleich noch zum Peterhof, wo sie uns Eintrittskarten zum Russentarif besorgten. Ausländer zahlen mehr als dreimal so viel, sprich über 10 Franken pro Person mehr! Der Park vom Peterhof mit den weltberühmten Springbrunnen war zwar schön, haute uns aber nicht gleich aus den Socken. Das könnte aber auch am Wetter gelegen haben, es regnete…
Da sich Trekkingschuhe und ausgetragene Jeans im Ballet nicht sonderlich gut machen, jagten wir am Nachmittag in einem Shoppingzentrum erfolgreich je eine Hose und ein Paar Schuhe. Nach russicher Mode natürlich, Mann bzw. Frau passt sich ja an.
Nass von oben und von unten.
Vom Hotel war einzig die Aussicht vom Zimmer klasse, hat aber extra gekostet.
Von 02:00 bis 05:00 Uhr öffnen die Brücken für den Hochseeschiffsverkehr.
Unser Transportmittel vom Hotel ins Zentrum (auf den Fahrplan war allerdings kein Verlass).
Am nächsten Tag quartierten wir uns im via Internet gebuchten Hotel ein und erkundeten während vier Tagen das Stadtzentrum. Höhepunkt, und das hätten wir ja selber nie gedacht, war die Vorstellung von Schwanensee im schmucken Mikhailovski-Theater. Es war noch keinen Monat her und wir hatten mit dem Feldstecher in der mongolischen Wildnis Adler beobachtet, nun beobachteten wir mit dem selben Feldstecher die Mimik der Ballettänzerinnen und Tänzer. Vom vierten Balkon aus hatten wir einen super Blick auf Bühne und Orchester. Es ist schon gewaltig, was die Darsteller da leisten, insbesondere aus sportlicher Sicht. Auf jeden Fall taten einem die Zehen nur schon vom Zuschauen weh. Bis zur letzten Minute waren wir gespannt auf den Ausgang. Denn gemäss Wikipedia gibt es je nach Inszenierung vier verschiedene Enden für das Stück: Entweder stirbt der Schwan oder der Prinz oder beide oder keiner. Wir hatten Glück, es gab ein Happy End! Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…
Verschwommene Schwäne.
Natürlich darf auch ein Besuch in der Hermitage nicht fehlen, so eine Art Russischer Louvre im ehemaligen Winterpalast des Zaren. Das weissgrüngoldene Haus hat gerade mal bescheidene 1057 Räume. Wir beschränkten uns auf die Besichtigung einer niedrigen dreistelligen Anzahl und waren danach trotzdem fix und fertig. Warum kam noch niemand auf die Idee, in solch riesigen Museen statt Souvenirs Fussmassagen anzubieten?
Der Winterpalast: Herzig, nicht?
Wachtmeister Rohrer unter seinesgleichen.
Kitschige Kirche.
Nach dem kräfteraubenden Stadtleben zog es uns wieder in den Pfusbus bzw. aufs Land und wir rollten entspannt der Russisch-Finnischen Grenze zu. Was soll denn da noch schwierig sein nach den vorangegangenen Grenzüberquerungen? Ganz so einfach wie wir uns das vorgestellt hatten, war es dann doch nicht. Noch nie war ein russischer Grenzposten so chaotisch organisiert und noch nie wurde der Pfusbus von den Russen dermassen durchsucht. Wir blieben cool und waren nach drei Stunden bei den Finnen. Diese warfen keinen einzigen Blick ins Fahrzeuginnere, wollten uns aber nach langem Studium eines dicken Bundesordner eine Steuer für ein gewerbsmässiges Transportfahrzeug aufbrummen! Wir baten die nette, extra herbeigezogene deutschsprechende Beamtin, abzuklären, ob es sich da nicht um ein Missverständnis handle. Sie dürfe sich mit einem Blick in den Pfusbus auch gerne selber vergewissern, dass wir Touristen und der Bus ein Bus zum Pfusen ist und nichts anderes. Schliesslich wurde uns mitgeteilt, dass man ausnahmsweise auf das Einziehen der Steuer verzichte, wir sollen uns aber das nächste Mal im Voraus erkunden. Hä?
Ach ja, was wir noch sagen wollten: Wir schafften 8‘000 km in Russland ohne auch nur einen einzigen Rubel Busse oder Schmiergeld zu bezahlen! Nicht schlecht, gell?
Viele Grüsse von den stolzen Pfusbüsslern
Hallo ihr Beiden,
super Reisebericht, bravo!!! Ihr erlebt ja tolle Geschichten. Eure Site habe ich bei Anke & Thomas gefunden, von deren Reisebericht bin ich begeisterter Anhänger. Und nun auch von eurem. Scheint, dass die Schweizer sehr talentierte Schreiber sind :-)
Grüße aus Vorarlberg
Isabella
By: Isabella on August 25, 2011
at 09:15
Hallo ihr Beiden,
das ist ja eine richtig tolle Site hier. Schön auch nochmal eure ausführlicheren Beschreibungen eurer Abenteuer zu lesen. Seid ihr noch in Finnland?
Es war ein sehr netter Abend mit euch in Vaalimaa!
Liebe Grüße aus dem laaaangweiligen Deutschland,
weiterhin gute Reise und einen solch tapferen Pfusbus,
Jula
By: Jula on August 23, 2011
at 09:35
Hey war schön mit euch an der russischen Grenze! Hoffe ihr hattet noch eine schöne Zeit auf dem süßen Platz. Wir haben es am nächsten Morgen direkt mit sehr viel Glück nach Helsinki geschafft.da gibt’s nen super Campingplatz im Osten direkt an nem wunderschönen See… Habt ne schöne Zeit! Bin auf weitere Beiträge gespannt! Liebe Grüße aus noch Amsterdam
By: Jenny on August 19, 2011
at 15:32
Hallo zämä.
Mit grosser Spannung lese ich all eure Einträge und hoffe dass der innenausbau hält was ich versprochen habe. ;-)
Bin bereits sehr gespannt auf die gewünschten Erweiterungen.
lg Pfusbus-Götti
By: Simu on August 18, 2011
at 18:41
holà pfusbüsler
wow, ihr kommt uns aber immer näher…schnellen rades.
chapeau, eure reports sind immer spannend und witzig, weiter so!
bei uns alles fein, nach einem ecuadorianischen ferienweekend mit über 40 gästen, 20 frühstück, 18 burgers, tonnen von pasta bolognese, wasserpumpendefekt, stromausfall, wasserrohrbruch, toiletten explosion usw, sind wir grogi aber feliz.
gruss von der ecuadorianischen äquatorküste mit mützentemperatur…:-)
anke&thomas
By: anke & thomas + villa venus on August 18, 2011
at 16:39