Stuttgart, 25.05.2012, 49‘900km
Liebe Leute
Wir nähern uns rasant der Heimat, morgen trudeln wir wieder Zuhause ein. Zur Zeit geniessen wir in Stuttgart die Gastfreundschaft unterer Freunde Jörg und André, welche wir im Iran kennen lernten hatten. Bis wir den alten Kontinent wieder betreten bzw. befahren konnten, erlebten wir noch einiges:
Mit acht Tagen Verspätung auf den Fahrplan betraten wir in Buenos Aires das Frachtschiff Grande Amburgo, unser vorübergehendes Zuhause während der Rückreise. Die Verspätung kam zustande, weil in den Häfen von Buenos Aires und Zarate gestreikt wurde. Die LKW-Fahrer, welche ohne Lohn oft tagelang vor dem Hafengelände auf ihre im Zoll feststeckende Ware warten müssen, entluden ihren eigentlich verständlichen Frust. Die Hafeneinfahrten waren völlig blockiert, Waren kamen weder raus noch rein. Wieder einmal standen wir also im Hafen von Buenos Aires und fragten uns, was uns noch erwarten würde, unsere letzte Erfahrung war ja skandalös kostspielig und zeitraubend abgelaufen. Dieses Mal teilten wir unser Schicksal allerdings mit 10 Mitpassagieren und ihren Fahrzeugen. Wir hatten Glück. Nach gerade mal 12 Tagen auf dem Buquebusparkplatz erhielten wir das ready to go und die fehlenden 500 Meter bis zum Schiff waren innerhalb von nur 10 Stunden geschafft, erst noch ohne zusätzliche Kosten! Wir konnten die Kabinen beziehen und uns an den gedeckten Tisch in der Messe setzen.
Unsere internationale Karawane vor den Hafentoren. Wir wieder einmal mit dem Kleinsten!
Der Pfusbus sicher verstaut auf Deck 6. Der erste Offizier Darijo kümmert sich persönlich darum.
Sicht vom Deck auf den Hafen von Buenos Aires. Reges Treiben Tag und Nacht.
Mit Auslaufen war aber vorläufig noch nicht zu rechnen. Irgendwelche Container steckten immer noch entweder im Zoll oder im falschen Hafen von Buenos Aires fest und es vergingen weitere zwei Tage, bis die Grande Amburgo schlussendlich ablegte. Wir nutzten die Zeit, um uns an das Schiffsleben zu gewöhnen und die ersten Bücher zu verschlingen. Unsere Doppelkabine mit Fenster, eigener Dusche und WC sowie zwei breiten Betten bot einigen Komfort, an welchen wir uns zuerst wieder gewöhnen mussten.
Rampe hoch und los geht’s in Richtung Heimat.
Der letzte Blick auf unseren Hafenplatz.
Es standen in Brasilien die Häfen Paranagua, Rio Grande, Santos und Rio de Janeiro auf dem Fahrplan, wo jeweils Fracht ab- und aufgeladen wurde. Das Muster war dabei immer etwa ähnlich: Zuerst Mal war kein Hafenplatz frei und wir mussten 1-2 Tage draussen auf dem Meer mit zahlreichen anderen Schiffen vor Anker warten. Mit Hilfe von Lotse und Schleppern ging es dann in den Hafen hinein zu unserem jeweiligen Liegeplatz, wo die Rampe heruntergelassen wurde. Das ganze Prozedere dauerte mehrere Stunden. Dann kamen zuerst die höheren Beamten mit leeren Rucksäcken an Bord und verliessen das Schiff mit vollen (!) Rucksäcken wieder. Schliesslich setzte sich die Lademaschinerie langsam in Gang, wobei klar sichtbar war, wer zur Schiffsbesatzung gehörte (diejenigen die vorwärts machten) und wer zum Hafenpersonal (die anderen). Container wurden per Kran oder via Rampe ein- und ausgeladen. Wir waren dann jeweils auf dem Oberdeck in 35 Metern Höhe am Überwachen der Aktivitäten.
In Rio Grande packten wir zusammen mit Michèle und Reto die Gelegenheit zu einem Landgang. Das war ein ziemlich aufregendes Unterfangen, verstanden wir doch etwa gleich viel Portugiesisch wie die Einwohner dieses Hafenviertels Englisch oder Spanisch. Aber vom Hafenarbeiter bis hin zur Verkäuferin erlebten wir eine überwältigende Hilfsbereitschaft, und so fanden wir ein Internetkaffee, konnten einkaufen ohne einen Real in der Tasche und fanden problemlos wieder zurück zum Schiff. Auch die Formalitäten waren schnell und unkompliziert erledigt.
Die Bauern freut’s: Jede Menge Mähdrescher kommen mit uns nach Europa.
Im grossen Bauch der Grande Amburgo.
Bei den meisten Häfen stand erst mal Warten auf einen Hafenplatz auf dem Programm. Bei Santos lagen wir mit 40 anderen Schiffen vor Anker.
Kate auf Deck. Heutzutage hat Leo keine Zeit mehr zum Umarmen, er muss sich ums Foto kümmern.
Die Grande Amburgo ist ein kombinierter Ro/Ro und Containerfrachter, d.h. drei Viertel des Schiffes sind ein Parkhaus für bis zu 5000 (!) Autos und ein Viertel ist offen, dort werden Container mittels eigenen oder Hafenkränen gestapelt. Sehr viele Autos u.a. der Marken Mercedes, Peugeot, Citroën und VW werden in Südamerika gefertigt und bilden zusammen mit Landmaschinen und Papierrollen dann die Hauptfracht für die Fahrt nach Hause. Auf dem Hinweg werden aus Europa primär Altautos nach Afrika und Luxusgefährte sowie spezielle Baumaschinen nach Südamerika gebracht. Unser Schiff beeindruckt dabei mit folgenden Eckwerten: 56‘000t Verdrängung, 215m Länge, Ladung z.T. bis 1 Mrd. Euro wert und 2.5 bis 3 Tonnen Treibstoffverbrauch pro Stunde.
Der Lotse geht von Bord. Sportliche Angelegenheit bei 17 Knoten (32km/h) Fahrt.
Die Grande Amburgo hat nur knappe 10m Tiefgang und 45m hohe Aufbauten, was für spektakuläre Schräglagen sorgt. Unsere Mägen überstanden die Reise aber relativ souverän.
Besuch von unten im Hafen von Paranagua.
Hübsche Nachbarschaft. Das Hafenviertel von Santos, Brasilien.
Das Leben an Bord des Frachters war bedeutend kurzweiliger als angenommen. Jeweils feste Zeiten für die Mahlzeiten sorgten für einen regelmässigen Tagesablauf, was uns im Hinblick auf unsere Resozialisierung in der Schweiz nur gut tun konnte. Zur Bekämpfung von Skorbut und ähnlichen standen bei jeder Mahlzeit exotische Früchte auf dem Programm und der rumänische Koch versorgte uns immer mit frisch (nicht auf-) gebackenem Brot. Hier ein Einblick in einen ganz normalen Tag:
07:15 Uhr, der Wecker läutet. 07:30 Uhr, das Frühstück wartet. 09:00 Uhr, der harte Kern trifft sich im rustikalen Fitnessraum und trainiert die Mukis mit Kräftigungsübungen, welche Fitnessinstruktor Didier alle paar Tage vorzeigt. Bei trockenem Oberdeck gehören paar Runden joggen dazu. 11:00 Uhr, Messman Lofi serviert uns und den italienischen Offizieren ein 4-Gang-Menu a la italiana, die indischen Offiziere erhalten Reis, genauso wie die indische Mannschaft im anderen Speisesaal. 11:45, wir Passagiere kriegen im Aufenthaltsraum Kaffee während nun der Kapt‘n speist. Die Hard-Core-Puzzler setzen sich an den Tisch, die anderen aufs Sofa. Der Nachmittag steht zur freien Verfügung: Lesen, Sünnelen, Fotos sortieren, Besuche auf der Brücke, Delphine und Schildkröten beobachten etc. 18:00 Uhr, Lofi serviert erneut ein 4-Gänger. 18:45 Uhr, der Kaffee ist nebenan parat, es wird geplaudert, gepuzzelt, Fotos angeguckt etc. 20:00 Uhr bis open end, Tischtennisprofi Lofi nimmt Barbara unter seine Fittiche, dann sind knallharte Doublematches angesagt oder ein buntes Gemisch aus Passagieren und Crew rennt „im amerikanischen Stil“ um den Tisch. Je nachdem schliessen wir den Tag mit einem letzten Besuch bei Offizier Nicola auf der Brücke ab.
Sobald wir jedoch in einen Hafen lagen, bzw. ein- oder ausliefen, stand abgesehen von den Essenszeiten das ganze Programm auf dem Kopf: Wir verbrachten unzählige Stunden mit Feldstecher und Kamera auf Deck, egal um welche Tages bzw. Nachtzeit. Das Treiben in einem Containerhafen war ungemein faszinierend. Die Crew hatte in diesen Momenten sehr viel zu tun, besonders als in Südamerika fast jeden zweiten Tag ein Hafen auf dem Programm stand. Auf der Fahrt über den Atlantik aber relaxte sich das Ganze und wir durften fast uneingeschränkt auf die Brücke, wo sich interessante Gespräche ergaben und wir den Offizieren und Kadetten Löcher in den Bauch fragen durften. Der 2. Offizier Nazir lud uns während einer klaren Nacht sogar einmal zum Sternegucken ein und erklärte uns den nautischen Sternenhimmel. Auch nahm er alle interessierten Passagiere mit zur Lifeboat-Inspektion, wo wir dann in der Luft baumelnd alle hofften, dass nie ein Ernstfall eintrifft. Dank Offizier Nicola können wir nun mit komplizierten Formeln die Sichtweite bestimmen und bei Offizier Giovanni durfte Barbara gar mal per Drehknopf den Kurs um 25° ändern. Überhaupt hatten wir es mit der ganzen Crew sehr gut. Theoretisch ist man als Passagier auf einem Frachtschiff nur geduldet und die Freiheiten sind je nach Kapitän und Offiziere sehr verschieden. Wir wurden aber herzlich aufgenommen, erhielten einen spannenden Einblick in das Seemannsleben vom Schiffsjungen bis zum höchsten Offizier und durften wunderbare Freundschaften schliessen. Chief Officer Dario kümmerte sich toll um unsere Fahrzeuge (nicht ganz unbedeutend wenn man auch nur die Hälfte der kursierenden Geschichten glaubt), Koch Doru übertraf sich zuweilen selber und Messman Lofi las jeden Wunsch von den Augen ab.
Zuckerhut (vorne) und Corcovado (mit Jesus) im Hintergrund, dazwischen Copacabana.
Geschätzte 5000 Autos warten in Rio auf den Weg nach Europa.
Bei uns sind die Hanglagen am teuersten, hier wohnen dort die Ärmsten in den Favelas.
Der Besuch auf der Brücke gehörte mit zum Interessantesten. Hier mit 3. Offizier Nicola „Rocky“, der jeweils von 8-12 Uhr (Tag und Nacht) die Brücke übernahm und Mitpassagierin Michèle …
…und hier mit der 12-4 Uhr-Crew. Zweiter Offizier Nazir und Raju.
Schliesslich wurde der Zuckerhut immer kleiner und das Meer immer blauer, mit der Fahrt über den Ozean stand uns ein neues Abenteuer bevor. Während sechs Tagen war kein Land in Sicht! Da unser Kapitän offenbar die traditionelle Äquatortaufe sausen lassen wollte, nahmen Michèle und Barbara die Sache selbst in die Hand. Was eigentlich nur ein Anstossen mit einem Glas Tischwein (wir kriegen pro Passagier jeweils ein 2.5dl Fläschchen zum Essen) werden sollte, nahm plötzlich ungeahnte Dimensionen an. Plötzlich standen wir mit Koch Doru vor dem Alkoholschrank im Schiffsbauch, dann vor dem Kapitän wegen der Alkoholerlaubnis, dann in der Küche und nach dem obligaten Gruppenfoto auf Deck stieg die Äquator-Party im Aufenthaltsraum. Koch Doru, Hilfskoch Johnny und Messman Lofi servierten eine leckere Sangria und selbstgemachten Kuchen, die Stereoanlage wurde aufgedreht, das Tanzbein geschwungen und plötzlich tauchte sogar der Kapt’n auf! Michèle und Barbara trauten ihren Augen nicht!
Adios Suramerica!
Die Passagiere sozusagen auf dem Äquator.
Feierabend auf Deck.
Plötzlich hiess es Land in Sicht und die Grande Amburgo lief in Dakar, Senegal, ein. Ein tolles Gefühl, per Schiff auf einem anderen Kontinent zu landen. Natürlich packten wir die Gelegenheit beim Schopf und nahmen die Einladung vom Küchenteam gerne an, Dakar by Night zu erkunden. Schliesslich waren wir noch nie in Afrika, und schon gar nicht im Ausgang! Es war eine äusserst lustige Nacht mit viel einheimischem Bier und vielen bleibenden Eindrücken. Die Senegalesen sind ganz dunkle und sehr grosse Menschen, manche schick gekleidet, manche in den traditionellen, bunten Gewändern und mit riesigen Körben auf dem Kopf balancierend. Überall boten uns fliegende Händler ihre Ware an. Unsere Freunde deckten sich mit Telefonkarten ein, um endlich wieder einmal mit ihren Liebsten im fernen Indien sprechen zu können. Während dem ganzen Landgang wollte kein einziger Mensch von uns einen Ausweis sehen, einzig zwei Dollar Schmiergeld waren nötig, um wieder ins Hafengelände zu kommen. Im Unterschied zu Südamerika musste die Crew in Dakar auf Anweisung des Kapitäns auf Deck die ganze Zeit Wache schieben, damit keine blinden Passagiere an Bord kommen. Es passiert immer wieder, das verzweifelte Afrikaner ihr Leben riskieren und sich unter der Rampe manchmal tagelang festklammern, bevor sie entdeckt werden. Ein trauriges Kapitel. Auch als die Grande Amburgo auslief und auf offener See betankt wurde, wurde die Wache aufrecht erhalten. Nun waren die Piraten das Problem, denn würde sich bei einer allfälligen Schiesserei eine Kugel in einen Gefahrengutcontainer bohren, dann gute Nacht! Glücklicherweise erfuhren wir dies aber erst, als wir schon wieder in sicheren Gewässern waren.
Typische Fischerboote schon weit vor der afrikanischen Küste.
Im Ausgang in Senegal! Hilfskoch Johnny, Messman Lofi, Koch Doru und wir.
Die Rampe geht hoch in Dakar und es müssen Extrawachen geschoben werden, damit keine blinden Passagiere an Bord kommen.
Je nach Wellengang ist Tischtennis auf See besonders anspruchsvoll.
Von Dakar aus ging es dann ohne weitere Zwischenhalte direkt nach Nordeuropa, zuerst nach Emden und dann an unsere Endstation Hamburg. Die Biskaya zeigte sich von ihrer ruhigsten Seite und die Zeit verging wie im Flug. Noch einmal genossen wir die Tage auf hoher See, bis uns die Grande Amburgo nach exakt 4 Wochen Überfahrt um vier Uhr Morgens stimmungsvoll der Elbe entlang an unseren letzten Anlegeplatz brachte. Die Stimmung an Bord war voller gemischter Gefühle, denn einerseits freuten sich alle Passagiere und viele Besatzungsmitglieder auf Zuhause, andererseits hiess es nun definitiv Abschied nehmen. Wir hoffen, dass die zahlreichen neuen Freundschaften bestand halten und wir in den nächsten Jahren einmal in der Lage sein werden, unsere vielen neuen indischen und europäischen Freunde zu besuchen.
Die Zollabwicklung in Hamburg war problemlos und schnell erledigt und so richteten wir uns mit acht Mitpassagieren auf einem Stellplatz ein, um noch ein, zwei Tage in der Stadt zu verweilen. Die Sonne lachte vom stahlblauen Himmel und bei südamrikanischen Temperaturen konnten wir an der Binnenalster mit einem Freiluft-Eisbecher die europäischen Sommersaison einläuten. Life is good!
Vier Delphine belgeiten die Grande Amburgo in der Biskaya.
Und plötzlich gleiten wir an der Elbphilharmonie vorbei.
Der letzte Blick zurück auf die Grande Amburgo.
Morgen geht es also definitiv nach Hause, wir freuen uns und blicken bereits wieder nach vorn. Schliesslich sind wir schon bald unterwegs nach Grossbritannien. Wir bleiben dran am Blog und ihr hoffentlich auch!
Liebe Grüsse!
Die Pfusbüssler
Hola amigos¡¡¡¡¡ nos alegramos que hayan llegado bien¡¡¡¡ muchos saludos de toda la familia.
By: Marcelo on Mai 28, 2012
at 00:28